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Texte und Medien

Gefäss-Körper 1998

Nachdenken über die eigene Arbeit

GEFÄSS – KÖRPER

„Kunst ist ein menschliches Phänomen, mit dem wir uns abzufinden haben.“

Hans Ronge

 

.....und eben dieses „menschliche Phänomen“ nahm in den letzten Jahren mehr und mehr Form an in meinem keramischen Leben.

Die Gestalten und Wesen, die ich früher auf meine Teller und Gefäße gemalt habe, verwandelten sich zunehmend in henkelähnliche Gebilde, menschliche Gesichter oder herausspringende Figuren. Sie sind aus den Gefäßen getreten, haben zwischen Zwei- und Dreidimensionalität gewechselt und waren eine Kombination von flächigen und plastischen Elementen.

Seit einigen Jahren kommen sie als plastische Wesen ganz aus der Flächigkeit heraus.

Ihre Plastizität wird dabei nach wie vor bestimmt durch die gedrehte Urform des hohlen Gefäßes. Die gedrehte Form hat für mich eine wesentliche Bedeutung: Sie vermittelt eine nur ihr spezifische innere Spannung und sie gibt Volumen vor; ein Volumen, daß ich auf andere Weise in den von mir bewunderten Arbeiten von Aristide Maillol entdeckte.

Hans Albert Peters sagt über Plastik von Aristide Maillol: “So sind für Maillol Vorstellungen und der Begriff des Runden und Gefäßhaften gleichbedeutend mit der Einheit plastischer Form. Bei Maillols Plastik wird, wie beim Gefäß, das Volumen von außen her mit der Schale begriffen.“

Bei mir ist darüberhinaus tatsächlich die Technik des Drehens der Ausgangspunkt für meine Formen und das Gefäß der Ursprung ihres Daseins. Aber in dem Maße, wie bei Maillol das „Volumen von Außen her mit der Schale begriffen wird“, kommt bei mir die Formerfahrung von Innen dazu. Während in der klassischen Bildhauerei durch Hinzufügen oder Wegnehmen Form von außen gestaltet und vollendet wird, forme ich konkav aus, arbeite nur von innen heraus, um auf diesem Weg zu einer konvexen Formenerfahrung zu gelangen.

Diesen Prozeß sichtbar zu machen, das Charakteristische dieser Technik zu betonen und sie gleichzeitig als bewußte Beschränkung meiner künstlerischen Mittel einzusetzen, ist Teil meiner Aussage.

Durch die Betonung der Individualität ermögliche ich dem Betrachter, Kommunikation, zum Teil auch Identifikation, zumindest aber Kontakt herzustellen. Der Kopf, das Gesicht und vor allem der Blick sind wesentliche Elemente, die der Figur zum Ausdruck verhelfen. Während Botero möchte, daß der Blick seiner Figuren ins Leere geht, weil man andernfalls deren Geist sähe, ist mein Anliegen, nicht die Form um der Form willen, sondern die Form um des menschlichen Ausdrucks willen zu schaffen. Indem ich eine menschliche Figur mache, beziehe ich Stellung, erzähle eine Geschichte, biete Beziehung an.

Daß meine Frauenfiguren breitbeinig und selbstbewußt stehen, ist ein wichtiger Teil ihres Daseins und ihres Soseins. Daß sie „schön“ und heiter sind, ist ein Bekenntnis zur immerwährenden Sehnsucht nach körperlicher Vollkommenheit. Denn selbst da, wo sie vorhanden ist, ist sie oft nichts wert, sondern bedarf der Ergänzung durch die bedingungslose Akzeptanz der physischen und psychischen Gegebenheiten. Walter Benjamin spricht mir aus dem Herzen, wenn er sagt: „Glücklichsein heißt, ohne Schrecken seiner Selbst innewerden zu können.“ Indem ich selbst in all meinen Figuren war, das heißt, sie von innen her begriffen, geformt, ausgewölbt und gedehnt habe, haben sie mehr von mir bekommen, als ich es ihnen von außen hätte geben können.

Meine Geschichte als Töpferin und das Vertrautsein mit Dreh- und Montagetechniken, der langjährige Umgang mit Engobe und Malhorn, und die intensive Spurensuche in den Traditionen der europäischen Irdenware fließen in meine Arbeiten ebenso ein, wie die Anregungen durch mein aktuelles Studium der Volkskunde, Ethnologie und Kunstgeschichte oder meine Lehrtätigkeit am Institut für Künstlerische Keramik.

Die Malerei mit Engoben ermöglicht vor dem ersten Brand eine reiche, vielschichtige farbige Fassung; manchmal schimmert noch die Haut durch, dann wieder liegen die Schichten aufeinander, pastos deckend, nichts freigebend, sondern schützend und verhüllend; manchmal bricht die Engobe auf und die Figur sprengt fast ihr eigenes Volumen.

Wilhelm Koslar schrieb 1991 “...man will es kaum verstehen, daß man neuerdings mit Acryl Keramisches bemalt...,“ und sang ein Loblied auf meine unermüdliche Konsequenz in Sachen Engobe. Wenn er wüßte, daß ich inzwischen zur „Verräterin“ an der Engobe geworden bin; er würde mit der Erde, die ihn bedeckt, nach mit werfen; male ich doch inzwischen auf die Engobe mit Acryl, setze Akzente, höhe, betone, retuschiere. Seitdem die Figuren selbständig geworden sind, fragen sie nicht mehr nach keramischem Ehrenkodex; sie kriegen alles, was sie brauchen können.

 

Theresia Hebenstreit, November 1998