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Texte und Medien

Leib mit Seele, 2002

Künstlerische Aspekte zur Fülle

Immer wieder werde ich gefragt: wie kommen sie eigentlich dazu, solche dicken Figuren zu machen, warum machen sie das, das entspricht doch ganz und gar nicht unseren Schönheitsidealen und sie selbst sind ja auch nicht so dick. Um es gleich vorweg zu sagen, meine künstlerische Aussage ist nicht ideologisch gemeint, es ist nicht so, dass ich nur das schön fände, aber es ist etwas daran, was ich so schön finde, dass ich es weitergeben möchte.

Zunächst ein wenig zu der Technik, die meinen Figuren zugrunde liegt und maßgeblich für deren Form verantwortlich ist:

Ausgangspunkt für meine Formen ist die Technik des Drehens und somit ist das Gefäß der Ursprung ihres Daseins. (Denken nur sie daran wie geradezu „menschlich“ dickbauchige Teekannen mit Tüllen und Henkeln wirken können).

Während in der klassischen Bildhauerei durch Hinzufügen oder Wegnehmen Form von außen gestaltet und vollendet wird, arbeite ich von innen heraus, um auf diesem Weg zu einer konvexen Formenerfahrung zu gelangen. Indem ich also selbst in all meinen Figuren war, sie geformt, ausgewölbt, gedehnt und im wahrsten Sinne von innen her begriffen habe, bekamen sie mehr von mir, als ich es ihnen von außen je hätte geben können.

 

Dass meine Frauenfiguren breitbeinig und selbstbewusst stehen, ist ein wichtiger Teil ihres Daseins und ihres Soseins. Dass sie „schön“ und heiter sind, ist ein Bekenntnis zur immerwährenden Sehnsucht nach körperlicher Vollkommenheit. Selbst da, wo sie vorhanden ist, ist sie oft nichts wert, sondern bedarf der Ergänzung durch die bedingungslose Akzeptanz der physischen und psychischen Gegebenheiten.Figur mit Leib und Seele aus Keramik

„Nein. Ich habe nicht Cindy Crawfords Beine. Meine Beine sind breit noch bevor sie in die Hüften münden und trotz meiner zahllosen Versuche im Aerobic-Anzug auf dem Boden zu schwitzen, kann ich ihren Hang zu Ausufern nicht verhindern.“ Gioconda Belli hat dies in dem Bändchen  In der Nacht stellt die Ehefrau einige Dinge klar ihrer Protagonistin in den Mund gelegt, und mir damit aus dem Herzen gesprochen. Und wie schrieb eine Besucherin einer Ausstellung im letzten Jahr ins Gästebuch „Ich esse wieder“, einfach so, ohne Koketterie, in dem Wissen um die Lust, die mit dem Essen verbunden ist und der wir oft genug abschwören, aus Vernunft Gründen, aus Gründen der notwendigen Anpassung ans geforderte Idealmaß.

Auch wenn ich wieder esse und mich nicht mehr quäle, darf und kann ich schön sein, kann als liebevolle Bewohnerin meines eigenen Hauses selbst bestimmen, was meine Idealmaße sind.

Als ich 23 war und schwanger wurde, wog ich 47 Kilo und trotzdem hatte ich immer das Gefühl, ich sei zu dick, ein völlig irrationales Gefühl, dass mit der Realität nichts, aber auch rein gar nichts, zu tun hatte. Erst spät, lange nach meinem 40. Lebensjahr fing ich an, mich mit meinem Körper auszusöhnen, mich zu mögen so wie ich bin, aber da hatte ich die heiße Kartoffel leider schon an meine Tochter weitergegeben.

Sie, die damals 18jährige hasste ihre Schenkel, die wohlgeformt und prall dem ganzen jungen Körper eine sinnliche Weiblichkeit verliehen, die aber nicht erwünscht war. Immer wieder stellte ich mir die Fragen: Warum darf das nicht sein? Wer bestimmt das? Warum glauben wir, uns diesem unglaublichen Druck beugen zu müssen?

Auch diese persönlichen Erfahrungen flossen also ein in mein Tun, ich war dabei, aus Gefäßen Figuren zusammenzusetzen und Schenkel wie Säulen zu formen, Pos auszuwölben und von innen bis an die Grenzen ihrer Spannkraft zu dehnen. Ich empfand ein sinnliches Vergnügen dabei, trieb es weiter und konnte kaum aufhören.

„Ich habe nicht Cindy Crawfords Hintern, klein, rund, jede Hälfte exquisit gezeichnet. Der meine ist hartnäckig groß und breit, heiliges Gefäß oder Tonkrug, du kannst wählen, unmöglich ihn zu verstecken, und alles was ich tun kann, ist mich seiner nicht zu schämen sondern ihn benutzen, um bequem sitzend zu lesen oder zu schreiben,“ als hätte Gioconda Belli mir beim Arbeiten über die Schulter geschaut. Und so entstanden mehr und mehr dieser dicken Frauenfiguren, inzwischen mit einer neuen Technik, die mir erlaubte, aus der einen, gedrehten Urform, Abformungen zu machen, um diese dann beliebig zu variieren, jede gezeichnet von anderen Empfindungen und Erfahrungen. Durch die Betonung ihrer Individualität ermöglichte ich, Kommunikation, zum Teil auch Identifikation, zumindest aber Kontakt herzustellen. Körper, Kopf, Gesicht und vor allem der Blick, sind wesentliche Elemente, die der Figur zum ganz eigenen Ausdruck verhelfen. Während der allenthalben für dicke Figuren bekannte Fernando Botero möchte, dass der Blick seiner Figuren ins Leere geht, weil man andernfalls deren Geist sähe, und dieser von der reinen Form ablenken könnte, ist mein Anliegen, nicht die Form um der Form willen, sondern die Form um des menschlichen Ausdrucks willen zu schaffen. Indem ich eine menschliche Figur mache, beziehe ich Stellung, erzähle eine Geschichte, biete Beziehung an.

 Sie wurden immer mutiger, bewegter und selbstbewusster, sie drehten sich um sich selbst, bekamen Grazie und Anmut, standen breitbeinig oder saßen schamlos rum, einfach so, einfach schön, in sich ruhend, vergnügt lächelnd. Ich löste offensichtlich etwas aus bei den Betrachtern und löste gleichzeitig etwas in mir. Die Menschen reagierten, waren berührt, amüsiert, die meisten gingen vergnügter aus meinen Ausstellungen raus als sie gekommen waren, Dicke und Dünne, Männer und Frauen. Die meisten begriffen die „Botschaft“, die ich zunächst völlig unbewusst diesen Figuren mitgegeben hatte:

 „Glücklichsein heißt, ohne Schrecken seiner Selbst innewerden zu können.“ Dieser Satz von Walter Benjamin, den ein guter Freund bei der Besprechung meiner Arbeiten zitierte, berührte mich tief.

Ich möchte sie deshalb ermuntern, die eigenen Unzulänglichkeiten in einem neuen Licht zu betrachten, vielleicht kann Kunst uns ja helfen, die Dinge zu relativieren und selbstbestimmter zu urteilen, oder eben gar  nicht zu urteilen, sondern zu schauen und wirken zu lassen, sich Zeit zu nehmen für die eigenen Schönheiten und die der andern. Vielleicht hat der alte banale Satz, dass Schönheit von innen kommt, eben doch seine weise und heilende Berechtigung.