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Texte und Medien

Das Lilith-Projekt - Lilith Skulpturen

2003

Das Lilithprojekt oder

DIE KRAFT DER KLEINEN FORM

Am Anfang war Lilith ...

... die erste Frau Adams; die Aufmüpfige; die Unangepasste; die, die nicht unten liegen wollte. So wurde es überliefert, und schnell wieder vergessen.

Aus einzeln gedrehten Gefäßformen habe ich Lilith, die Urmutter hergestellt,

sie von innen her begriffen, geformt, ausgewölbt, gedehnt, mit Erde bestrichen und gebrannt.

Von Lilith wurde eine Form gemacht, die es mir erlaubte, die Ausgangsfigur zu variieren, das heißt, die ursprünglich identischen Körper in Haltung, Ausdruck, Form und Oberfläche zu verändern. Es entstand die Serie EINMALFÜNFZIG, Liliths Schwestern, alle einmalige und unverwechselbare Individuen. Die Form der Urmutter habe ich an meinem 51. Geburtstag geschlossen. Aus der letzten Figur dieser Reihe aber wurde wieder eine Form erstellt, um neuen Generationen zum Ausdruck zu verhelfen. Nun wurde immer die jeweils erste Figur Formgeberin für eine weitere Generation, alle anderen Nachkömmlinge wurden vielfältig und individuell, also erneut in Ausdruck, Gestik und Haltung variiert. Da jedes Mal ein Schwindungs- und Brennvorgang zwischen der letzten Figur und der neuen Form liegen, werden die Figuren nun kleiner und kleiner.

Foto: Lilith Skulpturen

Es werden mehr und mehr dieser dicken, immer kleiner werdenden Frauenfiguren entstehen, jede geprägt von anderen Empfindungen und Erfahrungen.

So möchte ich 26 Generationen zum Ausdruck verhelfen, sodass jeder Buchstabe des Alphabets einer Generation zugeordnet werden kann, wobei es mir nun darum geht, zu beobachten, wie sich eine Form durch die ständige Minimierung und Wiederholung verändert. Findet eine Ent-Individualisierung statt? Verlieren sie nur an Größe, findet auch Verjüngung statt, oder werfen sie nur Ballast ab und erreichen so ein Höchstmaß an Verdichtung und Konzentration?

In jedem Fall aber haben sie durch die Verkleinerung die Chance, zu wachsen an Zahl und damit auch an gesellschaftlicher Präsenz. Der Welt also Horden von wohlgeratenen, fröhlichen kleinen Frauen zu präsentieren, authentisch, beharrlich Subtilität und Vielfalt herauszuarbeiten, ist mein Anliegen und Wunsch.

Indem ich menschliche Figuren mache, beziehe ich Stellung, erzähle Geschichten, biete Beziehung an. Durch die Betonung ihrer Individualität ermögliche ich Kommunikation, vielleicht auch Identifikation, zumindest aber Kontakt. Körper, Kopf, Gesicht und vor allem der Blick, sind wesentliche Elemente, die den Figuren zu ihrem ganz eigenen Ausdruck verhelfen.

Liliths Schwestern verkörpern Mut, Grazie und Selbstbewusstsein. Sie drehen sich um sich selbst, stehen breitbeinig da oder sitzen schamlos rum, einfach so, in sich ruhend, vergnügt lächelnd. Dass sie außerdem schön und heiter wirken – obwohl sie nicht den Idealmaßen entsprechen -, ist ein Bekenntnis zur immerwährenden Sehnsucht nach körperlicher Vollkommenheit. Denn selbst da, wo Schönheit unübersehbar vorhanden ist, ist sie oft nichts wert, wenn sie nicht ergänzt wird durch die bedingungslose Akzeptanz der physischen und psychischen Gegebenheiten.

Als hätte Gioconda Belli mir beim Arbeiten über die Schulter geschaut: „Nein, ich habe nicht Cindy Crawfords Hintern, klein, rund, jede Hälfte exquisit gezeichnet. Der meine ist hartnäckig groß und breit, heiliges Gefäß oder Tonkrug, du kannst wählen, unmöglich ihn zu verstecken, und alles was ich tun kann, ist mich seiner nicht zu schämen, sondern ihn benutzen.“

Walter Bunsmann sagt in seiner Eröffnungsrede zur Ausstellung EINMALFÜNFZIG im Wiesbadener Rathaus:

„Diese Frauen, das sind zuvörderst Gesichter, d.h. Individuen, gütige und frohe Gesichter, mit sich und den übrigen „Frauen dieser Welt“ einverstanden, in der freien Egalité ihrer geschlechtsspezifischen Körperlichkeit ohne Konkurrenz und Neid. Das geht über Argumentation weit hinaus, das ist Ermunterung, Verlockung und Zuruf, den ganzen Frau-Menschen ins Frauenbild der Zukunft einzubringen und nicht nur den schmalen Rest.“ Dazu passt wiederum Gioconda Bellis Bekenntnis in dem Bändchen <In der Nacht stellt die Ehefrau einige Dinge klar>: „Ich habe nicht Cindy Crawfords Beine. Ich verbrachte mein Leben nicht auf Laufstegen und Modeschauen, sonnenbraun unter den Lichtern der Fotografen. Meine Beine sind breit noch bevor sie in die Hüften münden und trotz meiner zahllosen Versuche im Aerobic-Anzug auf dem Boden zu schwitzen, kann ich ihren Hang zu Ausufern nicht verhindern.“[1] Gioconda Belli hat dies ihrer Protagonistin in den Mund gelegt und mir damit aus dem Herzen gesprochen.

Walter Bunsmann sagt weiter: „Theresia Hebenstreits Frauenbild ist ein Vorausgriff in die Zukunft, kein Bericht über das Heute. Die Befreiung ist schon vollzogen, die Kämpfe sind ausgestanden. Das Sinnziel fraulicher Existenz ist nicht mehr der Mann, und er ist nicht mehr der Endverbraucher von Weiblichkeit. Da kommen uns uralte Sehnsüchte, von der „großen Korrektur“ geläutert, entgegen: Ein neues Verständnis von Weggefährtenschaft ohne tägliche Infragestellung. Was Theresia Hebenstreit uns mit ihren kleinen Frauen, mit ihren Mitstreiterinnen da verheißt, ist fast zu schön um wahr zu sein und doch so wert, wahr zu werden.“

 

[1] Gioconda Belli: In der Nacht stellt die Ehefrau einige Dinge klar, Sonderdruck Büchergilde Gutenberg.