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Texte und Medien

Hans Hollinger, thalhaus 2010

thalhaus Galerie Wiesbaden

Eine Rede für Hans Jacomo Hollinger

Farbmalerei, wolkig, in Blau- und Gelbtönen

Das ist eine Rede für einen Freund, Sie werden mir also meine Subjektivität verzeihen müssen, aber der Freund war immer auch der Maler und der Maler war immer auch der Freund, und so werde ich heute beide bereden.

Es begann vor nunmehr 30 Jahren, als ich eine Ausstellung von ihm im damaligen Hinterhaus sah und mich in ein Bild und, ich muss es zugeben, ein wenig auch in den Mann verliebte. Die Kunst siegte schließlich, ich kaufte das damals für mich fast unerschwingliche Bild, und der Künstler wurde mein Freund. Wir sind also über die Kunst verbunden, seine Tochter wurde außerdem mein Patenkind, und in den 6 Monate alten Enkel habe ich mich gleich wieder verliebt.

Das Hinterhaus, der Vorläufer des heutigen thalhaus, war die Brutstätte für so manchen erfolgreichen Künstler in Wiesbaden. Auch für Hans Hollinger, einer der Initiatoren dieses Hauses für freie Kultur in Wiesbaden, war es eine nicht unbedeutende Stätte der Inspiration und des Aufbruchs.

Aber, wenn sie sich seine nicht gerade stromlinienförmige Vita ansehen, mitnichten die einzige. Er ist weitergezogen und hat gesucht,  gesucht bei den Juristen und bei den Zenmeistern, den Hopis und in Aufsichtsräten, christlichen Klöstern, weltlichen Universitäten, beim Film und einer Hamburger Partei, in Umbrien, in Island und jetzt in Zürich.

So vielseitig und gegensätzlich diese Aktivitäten anmuten, so „einseitig“ liest sich seine künstlerisch-malerische Entwicklung letztendlich: immer wieder Landschaften, Landschaften, Spuren, die ins Licht, ins Unendliche, in die Phantasie führen, in die Räume hinter den Zeiten und vor den Zeiten. Seine Lebenserfahrungen, sein Erleben, sein Suchen, seine Unstetigkeit und Unruhe legen Schicht auf Schicht in diese Räume, Räume, die man sich erschließen muss, wenn man etwas von ihnen haben will.

Als ich eines Tages längere Zeit im Krankenhaus verbringen musste, dekorierte ich mein Zimmer und hängte alle Bilder ab, um Platz zu schaffen für eben jenen Hollinger, wo ich fortan den ganzen lieben langen Tag drauf guckte. Das wandernde Licht auf dem Bild, immer wieder neue Partien ausleuchtend, neue Schichten freilegend, wurde zum heilenden, aufregend-beruhigenden Erlebnis. Ich bekam damals einen völlig neuen Zugang zu diesem Bild und damit zu seiner Kunst. (und dem Krankenhaus-Personal gefiel es in meinem Zimmer auch deswegen ganz besonders gut)

Mir ist es ähnlich ergangen wie einem angehenden Radiologen, der auf einem Röntgenbild zunächst einmal auch nicht mehr erkennt, als jeder von uns. Der angehende Spezialist benötigt etwa drei bis fünf Jahre intensiver Schulung, um auf die Höhe der erforderlichen wissenschaftlichen Leistungs- und Erkenntnisfähigkeit zu gelangen, um schließlich die verborgenen Dinge auf den Röntgenbildern entschlüsseln zu können.

Ich habe während meiner Krankheit damals einen Crashkurs gemacht, und bin mit neuen Einblicken und Erkenntnissen und entsprechenden zusätzlichen neuronalen Verknüpfungen wieder gesund geworden.

Bestimmte Dinge, wie Eindrücke von Landschaften, Ausblicke, Licht- und Naturphänomene haben sich seit William Turner nicht grundlegend geändert, wenn auch die Welt eine andere geworden ist. Unberührte Natur hat etwas von einer Religion oder etwas von einem großen immerwährenden Geheimnis, sagt der berühmte Landschaftsfotograf Anselm Adams.

Diese unberührte Natur in Island oder Umbrien hat sich Hollinger gesucht, es sind seine Bilder von der Welt, die er hier zeigt. Subjektive Äußerungen zu einem uralten Thema. Dabei geht es ihm nicht um eine zeitkritische Auseinandersetzung mit Umweltverschmutzung oder Naturzerstörung, es geht ihm um den Respekt vor der Schönheit und der Unberührtheit und den Unveränderbarkeiten von Natur.

Die Entwicklung seiner Landschaftsbilder von anfänglich sanften, fast esoterisch anmutenden virtuellen Landschaften hin zu gestisch ausladender, aufdeckend-verdeckender Beschreibung erlebter Landschaftsphantasien lassen Aufruhr und Reife, Suchen und Finden, Widerspruch und Anpassung, eben die ganze Palette durchlebter menschlicher „Hollinger´scher“ Erfahrungen durchscheinen.

Hollinger entwickelt deutlich sichtbar die innere Logik seiner Malerei in der Nachfolge großer Landschaftsmaler und erlaubt sich, Bilder über Bilder zu malen, also etwas über die Bilder Turners oder auch C.D. Friedrichs zu sagen, indem er ein Bild dazu malt. Malerei ist ja nicht per se ein reaktionäres Medium. Malerei ist gerade wegen ihrer Archaik ein zeitloses, sehr zeitgemäßes und notwendiges Medium. Malerei kann dem Menschen die Sinnhaftigkeit von Natur erschließen, sei es damit wir sie besser kennen lernen, sei es um sie in Bewunderung zu genießen.

Begegnen wir nach der Betrachtung dieser Bilder ähnlichen Landschaften in der „freien Natur“, werden wir uns der gemalten Bilder erinnern und die realen Erscheinungen nun anders und deutlicher wahrnehmen. Das ist das Verdienst Hollingers, er macht uns damit zusätzlich zu seinen Bildern, wenn wir uns drauf einlassen, ein geschärftes, vielleicht genussvolleres Sehen möglich. Und dafür möchte ich ihm danken und ihnen allen den Blick eines Röntgenspezialisten wünschen, damit Sie möglichst viel von diesen Bildern mitnehmen können.

Viel Vergnügen wünsche ich Ihnen dabei.

Theresia Hebenstreit