Kontakt/Impressum

Texte und Medien

Birgit König, thalhaus 2011

3. April - 30. Mai 2011

Ausstellungseröffnung Birgit König. thalhaus-Galerie Wiesbaden, Eröffnungsrede vom 3. April 2011

Sehr verehrtes Publikum,

herzlich Willkommen zur Ausstellung von Birgit König.

Vorab ein paar biografische Daten zu der Malerin Birgit König: sie hat zunächst in Trier Germanistik, Anglistik, Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften studiert und ist danach nach Holland gegangen, um an der Academie Beeldende Kunsten in Maastricht freie Malerei zu studieren. Seit 1993 lebt sie als freischaffende Künstlerin in Aachen. Und im Grunde seitdem reduziert sie ihre künstlerischen Mittel auf horizontale und vertikale Linien und konzentriert sich ausschließlich auf die ungegenständliche Malerei.

Den Einstieg in die Bilder von Birgit König bekommt man genauso, wie man den Einstieg in alle andere Kunst bekommt: man muss sie ansehen, sich Zeit nehmen, hingucken, Abstand nehmen, nah dran gehen, wieder hingucken, sie wirken lassen und gerne auch beschreiben.

 

Und was sehen wir?

Zunächst Linien, Linien aus Längsstrichen, Querstrichen, darüber liegende und darunter liegende Linien und sich daraus ergebende Raster. Und dann, wenn wir noch einen Schritt weiter gehen (und dann geht es schon fast ins Reich der Interpretation), sehen wir: Räume

Aber ich will vorn anfangen, bei der Linie.

Diese Linien oder Linienstränge sind eindeutig das vorherrschende Prinzip. Sie laufen horizontal und vertikal über die Leinwand, nie diagonal. Sie sind mal dick, mal dünn, mal durchgehend, dann hören sie wieder irgendwo auf, verschwinden, tauchen wieder auf, geraten in den Hintergrund, um plötzlich wieder ganz vorne mitzuspielen. Wir sehen Längsstriche, Querstriche und gestreifte Flächen, die es in sich haben, die mal breit, mal ganz zart daherkommen, mal tragen sie auf, mal sind sie fast transparent oder drängen mit fetter Farbe wieder in den Vordergrund. Ein ziemlich munteres Drüber und Drunter.

Dadurch entsteht eine Art Raster, in der Computersprache auch „grafisches Primitiv“ genannt. Ein Raster ist ein Ordnungssystem, ein Hilfssystem, ein Netz oder Gitter, das sich dem eigentlichen Inhalt unterordnet und wieder entfernt werden kann, wenn es seine Funktion erfüllt hat. Es bezeichnet (nach Wikipedia) „elementare ein-, zwei- oder dreidimensionale geometrische Formen. Aus diesen meist „einfachen Primitiven“ lassen sich kompliziertere Formen zusammensetzen. Synonym wird auch der Begriff Raumbezugsgrundform verwendet.“

Und Birgit König nennt ihre Arbeiten interessanterweise Raumuntersuchungen.

Denn tatsächlich, wenn man, so wie sie, diese „einfachen Primitiven“ benutzt, sie ihrem eigentlichen Zweck beraubt und wirken lässt, ihnen mit malerischen Mitteln eine eigenständige, unabhängige Bedeutung zukommen lässt, passiert etwas Faszinierendes: es entstehen Einblicke, Durchblicke, Räumlichkeiten und mehrdimensionale Tiefe. Farbwahl, Farbauftrag und Farbintensität intensivieren und variieren die Tiefe der Räume und ihrer Umgebung. Das System funktioniert aber auch fast ohne Farbe, allerdings wird es nie funktionieren ohne die freie Hand der Künstlerin, den Pinselduktus und die intendierten Verwischungen und Verschmelzungen der Farbtöne.

Von ihren hier gezeigten aktuellen Arbeiten sagt Birgit König selbst, dass sich durch die Wahl größerer Formate und eine neue Technik der Rhythmus und das Repertoire der Lineaturen verändert hat. Die Linien werden kürzer, stakkato-hafter; und die von ihr hier erstmals eingesetzte magere Temperamalerei kann mit ihrem puderigen Charakter eine breite Pinselspur in unzählige, flirrend feine Linien zerstäuben, die sich mit opaken, flächigen Streifen kreuzen und vereinen, ohne sich auszuschließen oder zu zerstören.

Die am meisten gestellte Frage in der Kunst lautet ja immer wieder: was soll das bedeuten, was will uns der Künstler damit sagen?

Und bei abstrakter Malerei allemal. Bedeutung erschließt sich ja immer durch das eigene Zutun, das eigene Wissen und die eigene Erinnerung. Ein Maler kann noch so bedeutungsvoll malen, wenn dabei nichts anklingt oder bei einem selbst anknüpft, wird ein Bild immer bedeutungslos bleiben, auch wenn man weiß, oder gesagt bekommt, das sei große Kunst.

Hier kann ich ihnen nur raten: folgen Sie der Linie. Sie können dabei Räume, Gebäude, Strukturen, Gefäße oder einfach nur Linien entdecken, dynamische Stränge, wie Fugen ineinander verwebt, sich wiederholend, sich einholend, sich voneinander entfernend. Ein feines Gespinst aus Tönen und Farben, geduldig, ausdauernd und konsequent gewebt von einer mutigen Malerin, die sich nicht an Trends oder Angesagtem orientiert, sondern einsam ihre Linien zieht und sich und uns dabei immer wieder neue Räume auftut.

Theresia Hebenstreit