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Texte und Medien

1001nackt, die Rede, 2008

Heidelberg

Autor: Theresia Hebenstreit

Um es in den 4 Sprachen der Länder zu sagen, in denen die Ausstellungen stattgefunden haben:

Sevus alle miteinander,

szanowne Panie, szanowni Panowie,

ny shi men, xian sheng men,

sehr geehrte Damen und Herren,

es ist überwältigend, Sie alle hier zu sehen, Sie, die sie mich über alle diese Jahre seit 2004 begleitet haben bei diesem erst ein mal verrückt erscheinenden, vielleicht auch leicht größenwahnsinnigen Unterfangen. Ich weiß noch, wie ich einer Kundin damals davon  erzählte und sie nur sagte, na hoffentlich lebe ich dann noch, das ist ja noch so lang. (Sie lebt noch). So weit in der Ferne erschien mir und allen andern dieses angepeilte Ziel. Und nun tatsächlich hier angekommen zu sein, und mit Ihnen heute diesen Tag zu feiern, was das für mich bedeutet, können sie sich sicher vorstellen. Und nur zu gerne werde ich ihnen etwas davon erzählen von diesem weiten, ereignisreichen und  manchmal auch sehr anstrengenden Weg.

1001 nackte keramische Frauenfiguren Skulpturen auf ihrem Sockel

Aber was soll ich ihnen erzählen? Es gibt soviel dazu zu sagen, wo soll ich anfangen und wie soll ich es verpacken? Sie hier mit einem Vortrag von anderthalb Stunden zu quälen geht auch nicht.

Also hab ich mich zu 3 Miniformen entschieden, einem Mini-Märchen, einem Mini-Bericht mit kleinen Anekdoten von den Reisen, und einer Mini-Philosophie über das Wesen der Nacktheit. Und so fange ich an:

 

Ein Märchen aus 100nackt.

Ich habe vernommen, dass  in der Stadt Wiesbaden, einer blühenden Stadt am Ufer großen Stromes Rhein eine Künstlerin jenseits der Blüte ihrer Jugend mit Lust und viel Vergnügen kleine Frauenfiguren von mächtiger Leibesfülle erschafft. Sie wären nicht aus Fleisch und nicht aus Blut, nicht aus Holz und nicht aus Eisen, sie seien aus gelber körniger Erde gemacht und in heißen Öfen gebrannt von großer körperlicher Fülle, aber kleiner puppenhafter Statur. Dergestalt neugierig geworden, machte ich mich auf die Suche danach und fand die Frau. Sie saß stillvergnügt in ihrer Werkstatt und bearbeitete ihr Material. Sie wölbte, dehnte und trieb den geschmeidigen Ton auseinander, klopfte ihn mit kleinen Werkzeugen wieder in Form, freute sich an den ausufernden Hüften und Pobacken ihrer Geschöpfe und zauberte zu Guter letzt sie ein verschmitztes Lächeln in die kleinen Gesichter.

Im denkwürdigen Jahr  des Wechsels der Jahrtausende  sorgte diese Künstlerin für einiges Aufsehen, indem sie die eine, die sie Lilith nannte vervielfältigte, man möge halten davon was man wolle. Bald waren es 50 an der Zahl von ähnlicher Form und doch nicht von gleichem Aussehen und es wurden ihrer immer mehr, denn die Menschen fanden großen Gefallen daran.

Das hätte nun noch viele Jahre so weitergehen können, wäre sie nicht eines Tages heimgesucht worden von einem großmächtigen Dschinn, der drohte sie zu töten, wenn sie nicht die ungeheure Zahl  von tausendundeiner dieser kleinen nackten Figürchen machen würde. Sie weinte und bat um Erbarmen ob der schier undurchführbaren Aufgabe, aber der Dschinn ließ sich nicht besänftigen und quälte sie auf grausame Weise. „Steh auf und schaffe mir diese Frauen herbei“, schrie er sie an und die Angst kroch in sie hinein. „Gib mir Zeit“  bat sie, „ich brauche 1 Jahr und dann sollst du bekommen, was du verlangst.“ So entschloss sie sich, ihm zu Willen zu sein, in der Hoffnung, ihn ein für alle mal los zu werden. Sie grübelte und dachte nach, Nacht für Nacht und Tag für Tag und schließlich stand ihr Plan fest. Dem Dschinn blieb nichts anderes übrig, als sich wütend und ohnmächtig zurückzuziehen, denn er hätte es nicht für möglich gehalten, dass seine Bedingungen erfüllt würden. So schlüpfte er zurück in seine Flasche und die Frau nahm ihre geschmeidige gelbe Erde  und verstopfte die Öffnung der Flasche aufs Sorgfältigste.

Tja und wie das bei den Märchen aus 1001nacht so ist, kann ich leider nicht weitererzählen, da es bereits Heller Tag ist.   

Ich weiß nur, dass es spannend weitergeht.

Also was die Reisen anbetrifft: 2 mal Villach, 4 mal Breslau, 2 mal China, 5 mal nach Heidelberg und auch immer wieder zurück: mehr als 60.000 Kilometer sind es geworden, nicht mitgerechnet die Reise nach Amerika, wo ich zwar eine Ausstellung hatte, aber mein Projekt nicht unterbringen konnte. Die Räume des Museum of Womens in the Art in Washington DC waren einfach zu klein….

Die erste Ausstellung in Villach/Österreich am 11.Juni 2006, war wirklich beeindruckend. Zum ersten mal alle die Figuren beisammen zu sehen, die ganze Masse, das war schon ein erhebender Moment. Die Leiterin des Keramik Museum Westerwald sprach informativ, einfühlsam und amüsant. Stellen Sie sich vor, sagte sie, ein Erdbeben würde Villach in Schutt und Asche legen (was wir wahrlich nicht hoffen wollen) und all das würde konserviert und käme bei einer Ausgrabung in 2000 Jahren wieder zum Vorschein, was würde das für ein Bild auf diese Stadt werfen: Ein Matriarchat in Villach? Wer hätte das für möglich gehalten. Das wären völlig neue Aspekte bezogen auf die Verhältnisse im Europa Anfang des 21. Jahrhunderts.

Wroclaw, am 20. April 2007: viel Presse und das Fernsehen vor der Eröffnung, viele, viele Menschen, die sich an den Schaufenstern der Galerie die Nasen plattdrückten. Soviel Nacktheit im katholischen Polen hat es selten gegeben. Als wir am Ende der Ausstellung wieder mit dem großen Lastwagen ankamen, haben wir erst mal einen kleinen Stadtbummel gemacht, um uns die Füße zu vertreten nach der langen Fahrt. Als wir davon zurückkamen, war das große, gottseidank noch leere Auto weg, 7,5 Tonnen, einfach weg, nicht mehr da, wo wir es hingestellt hatten. Aber nachdem wir erfahren hatten, dass die Polizei den LKW in Gewahrsam genommen hatte, da er nicht vorschriftsmäßig geparkt war, verbrachten wir eine ausgesprochen entspannte Nacht. Der LKW stand sicher, weit vor den Toren der Stadt, wo wir ihn am nächsten Tag nach einem komplizierten und kostspieligen Ritual auslösen konnten. Erleichtert luden wir dann die gepackten Kisten ein, was dank unserer unermüdlichen Helfer und des herzlichen Einvernehmens mit der Leiterin der Galerie eher ein Vergnügen und ziemlich schnell geschafft war.

Ankunft im Hotel in Beijing am 20. August 2007. Anruf meiner Spedition aus Deutschland: Es gibt ein Problem beim Zoll, die wollen 100 Dollar extra wegen unerfüllter Einreisevorschriften. Da wurde mir auf einmal klar: ich bin in China und meine Kisten und alle meine Figuren auch. „Zahlen sie, um Gottes willen zahlen sie einfach“ Ich wusste ja, was der Zoll beanstandete: Hatte ich doch 36 Flaschen Rheingauer Riesling unter die Figuren gepackt, eine Spende des Weinguts Speicher-Schuth für die Eröffnung in Tangshan, in der Hoffnung, sie würden nicht entdeckt.

Die Kisten mit den Figuren kamen durch, der Wein auch. Die Eröffnung am 6. September 2007 war bunt, laut und exotisch, ein großartiges Ereignis mit viel Prominenz aus Hochschule und Stadt. Meine auf Englisch gehaltene Rede wurde ins chinesische übersetzt, Händeschütteln, Fotoshootings, Postkarten und Katalog signieren, Essen gehen mittags und viel trinken, erst den guten Wein, danach Wassergläser mit Schnaps gefüllt auf ex getrunken: ganbei…,wenn man nicht mittrinkt, verliert man sein Gesicht…, ich hab´s oft verloren. Mehr als 2000 Menschen haben sich meine Ausstellung angesehen und das obwohl:

…obwohl es Nacktheit in China eigentlich gar nicht gibt.

Nacktheit in der Kunst, sei es als Aktzeichnung, Malerei oder Skulptur kommt im Prinzip in China nicht vor. Das entdeckte der Philosoph Francois Jullien und schrieb dazu seine Abhandlung Vom Wesen des Nackten. Im Vorwort zu meinem Katalog erwähne ich das Nacktsein als eine Art paradiesischen Urzustand, der alle sozialen und kulturellen Unterschiede aufhebt. Das gilt hier bei uns im „Westen“, aber die Chinesen waren nie an Nacktheit als künstlerischer Ausdrucksform interessiert, weil sie auf Unterscheidungskriterien großen Wert legten. Gerade durch die Kleidung, die Gewänder, den Kontext, das ganze Drumherum erst wurde ein Bild lesbar für den Betrachter. Nacktheit ist ein Zustand, erfordert eine Pose, Stillstand, Endgültigkeit, Dinge die im chinesischen Denken nicht relevant sind, nicht erstrebenswert.  

Es geht in China immer um Prozesse, um den Fluss der Dinge um das Pulsieren des Lebens in seinen Kontexten. Das Xi muss fließen.

Wir sind von der Antike her vertraut mit Aktdarstellungen, bis ins 17. Jahrhundert vor allem des männlichen Körpers, wenn man absieht von Boticellis Geburt der Venus, die um 1480 entstand. Aber selbst im Paläolithikum vor 25.000 Jahren schon gab es nackte Frauenfiguren. Denken sie an die kleine eindrucksvolle Venus von Willendorf.

Bei uns also gibt es von je her ein Genre in der Kunst, dass die Aktdarstellung zum Thema hat, und das sich durch unsere ganze Kunstgeschichte zieht.

Der Mensch ist das einzige Wesen, das sich nackt machen kann, eine Einzigartigkeit, die den Menschen von allen andern Lebewesen unterscheidet und seiner Individualisierung dient.

In der chinesischen Kultur dahingegen wird der Mensch nie als Individuum losgelöst von der ihn umgebenden Landschaft gesehen. Er ist eher gleichwertig mit einem Felsen, den Wolken, einem Bambusrohr oder einem liebevoll ausgestatteten Interieur. Das Wesen der Dinge zu erfassen ist wahre Meisterschaft, eine Geste, einen Blick, ein Verhältnis, einen Prozess. Es wird an die Vorstellungskraft des Betrachters appelliert, er soll sich das Bild machen und darin weiter denken können. Die Kunst der Nachahmung ist nicht das Ziel, die realistische Abbildung einer Person schränkt die Intension des Künstlers als auch die Phantasie des Betrachters ein. Daher gehört zwar die Pornografie durchaus mit zur gängigen Formensprache, aber nicht die Nacktheit als Selbstzweck.

Unbeeindruckt von diesem Wissen präsentierte ich meine 1001nackten, unbefangen und selbstverständlich fanden die Chinesen trotzdem Zugang.

Der kommunikativen Kraft, die von dieser Installation ausgeht, konnten sie sich nicht entziehen. Sie lachten, fotografierten, palaverten und wollte vor allem wissen, warum ich das gemacht habe. Die Antwort, die ich ihnen und auch Ihnen geben kann ist:

Ich wollte die Kraft der unvollkommenen Schönheit wirken lassen, ich wollte Sie anregen zum Reden über die Nacktheit, das Selbstbewusstsein, das Dick-Sein, das Allein- Sein und das Getrennt werden.

Ich wollte immer wieder auf neue erfahren und erfahrbar machen, wie leicht sich die Zungen lösen angesichts dieser nackten Präsenz und dicken Selbstverständlichkeit. Nicht Befremden sollten sie auslösen, sondern ihr Selbstbewusstsein und ihre kommunikative Kraft übertragen und weitergeben.

Und ich wollte Sie mit in diese Prozesse einbinden, und das ist mir auch gelungen: Etwa 400 Menschen aus aller Herren Länder haben sich beteiligt, haben eine Figur gekauft, oder mehrere, oder sogar die ganze Reihe und sie mir zur Verfügung gestellt. Sie haben dieses Projekt damit vorfinanziert und mir damit geholfen, es zu realisieren. Sie haben gewartet und Anteil genommen, ein wirklich weltumspannendes Projekt ist daraus geworden mit Ihrer Hilfe.

Ich danke Marianne Heller, die durch ihr Vertrauen zu mir und ihren Weitblick diese Ausstellung bereits 2004 mit einplante, ohne genau zu wissen, auf was sie sich da einlässt.

Ich danke Ihnen und nun können Sie reden……